Nicolai Levin

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Strafe muss sein – aber welche?

Jetzt ist es also passiert. Das Kind hat in einem seiner wohlinszenierten Wutanfälle unserem Esstisch ein paar sehr hässliche Schrammen zugefügt. Mitten auf der Fläche.

Ich weiß nicht, was der Auslöser war: der unerträgliche Brokkoli im Nudelauflauf oder das falsche Trinkglas oder sonstwas. Jedenfalls muss das Kind mit Gabel oder Messer in der Hand mit Schmackes auf die Tischplatte gehauen haben und der massiven Holzfläche diese üblen Fahrer verpasst haben. Wir haben es so richtig erst am nächsten Morgen bemerkt. Immerhin war der Täter auf gezielte Nachfragen geständig.

Über die Wutausbrüche mach ich mir keine Sorgen. Die sind normal bei Kindergartenkindern, wir erleben sie so ähnlich auch beim Nachwuchs von Freunden und Bekannten; die Kinder testen ihre Grenzen aus – mit freundlicher Konsequenz lässt sich dem schon beikommen. Naja, meistens jedenfalls.

Das Blöde ist: der schöne Tisch ist hin. Gut, man kann ihn noch benutzen. Ja, er war nicht mehr neu und hat auch schon sichtbar Patina angesetzt. Aber wir müssen jetzt jeden Tag auf die fiesen Narben schauen. Wenn wir uns eines Tages mal einen neuen kaufen und den alten bei ebay verticken, bekommen wir für das gute Stück jetzt wohl nicht mehr viel. Schade, denn einen neuen können wir uns so einfach nicht leisten. Massivholz und ausziehbar und schön – das wird teuer!

Kurzum: Wir sind sauer, und das Kind muss bestraft werden. Schließlich hat es mit Absicht gehandelt – oder jedenfalls den Schaden wissend und billigend in Kauf genommen.

Bloß: Wie?

Wir wissen wohl, man soll schnell strafen und der Tat entsprechend. Das Kind soll erinnert werden, was es falsch gemacht hat, damit es dieses Verhalten nicht wiederholt. Körperliche Züchtigung und Liebesentzug sind tabu. Das Kind soll wissen, dass die Eltern es weiterhin liebhaben, auch wenn es bestraft wird. So klar. So einfach. So unmöglich.

Als wir die Tat entdeckten, ist uns spontan keine passende Strafe eingefallen: – Määääp! – schon der erste Verstoß gegen die Regeln der guten Kindererziehung.

Die Eltern haben sich zurückgezogen und hektisch überlegt. Was macht man in so einem Fall? Den Schaden ersetzen lassen? Das Kind geht in den Kindergarten, es bekommt zwar schon Taschengeld, aber beginnt den Wert von Euro und Cent erst allmählich zu begreifen. Mama und Papa (sie ahnen es: das bin ich) sind sich einig: Um den Schaden annähernd abzudecken, dürften wir dem Kind bis zur 7. Klasse kein Taschengeld mehr zahlen – geht natürlich gar nicht. Das Taschengeld ist schließlich nicht nur Wohltat fürs Kind, sondern verfolgt ja auch ein pädagogisches Ziel: den Umgang mit Wünschen und Geld zu erlernen. Also: Taschengeld streichen geht schon mal nicht.

Mein spontaner erster Gedanke war, für die nächsten x Wochen das Nutella wegzusperren. Das Kind ist auf die Schokocreme versessen – schmerzhaft wäre diese Strafe also. Hat aber nix mit dem Tisch zu tun (außer dass wir an diesem Tisch auch frühstücken). Außerdem will die Mama nicht mit Entzug von Essen oder Lebensmitteln strafen; das Kind ist eher dünn, im Kindergarten fangen sie schon an, die Dicken zu hänseln; erste Horrorgeschichten von Magersucht und Essstörungen machen bei den Eltern die Runde. Also füge ich mich: keine Einschränkungen beim Nahrungsangebot.

Zweiter Gedanke: Fernsehverbot. Tut auch weh – das Kind sieht gern fern. Hat aber auch keinen Bezug zur Tat. Und wertet zudem das Fernsehen in einer Weise auf, die die Eltern auch nicht wollen. Gleiches gilt für iPad & Co.

Abarbeiten durch zusätzliche Haushaltspflichten? Wäre ein Gedanke, schießt uns aber auch in unseren pädagogischen Absichten quer. Wir wollen eigentlich darauf hinwirken, dass wir alle im Haushalt bereitwillig und arbeitsteilig zusammenhelfen. Da kommt es schlecht, wenn Tischdecken oder Geschirrspülerausräumen zu Strafarbeiten deklariert werden.

Wir haben Freunde um Rat gefragt. Die wussten auch nicht weiter: “Fernsehverbot ist zwar doof, aber das einzige, was bei uns hilft”, war die Standardantwort. Manchmal habe ich das Gefühl, unsere Eltern und Großeltern hatten es in dieser Hinsicht leichter. Ein paar Ohrfeigen, eine Tracht Prügel – und die Sache war für alle Beteiligte erledigt (Spätfolgen ausgenommen – ist schon klar). Ich hingegen fühle mich in dieser Situtation wie ein Strafrichter, der vor Revisionsanwälten bestehen muss.

Die Lösung? Wir haben auch keine. Wir haben das Kind jetzt gezielt von einer sehr schönen Veranstaltung ausgeschlossen, zu der es gerne mitgekommen wäre. Wahrscheinlich auch keine gute Idee. Die erste Reaktion des Kindes (“Gemein! Voll unfair! Ihr seid die gemeinsten Eltern von der ganzen Welt!”) deutet aber darauf hin, dass es wenigstens ein bisschen helfen könnte …