Nicolai Levin

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Helft den Armen! Weg mit der Mietpreisbremse!

Mit dem Ende der Großen Koalition wird aller Wahrscheinlichkeit nach auch die “Mietpreisbremse” ein Ende finden. Gut so! Denn die mehr oder weniger unverbindliche Empfehlung an die Vermieter, doch die Mieten bitte nicht zu sehr ansteigen zu lassen, hat praktisch nichts gebracht. Indes wäre auch eine striktere Umsetzung wenig hilfreich für den Wohnungsmarkt. Und: Es gibt bessere Möglichkeiten, armen Menschen bezahlbaren Wohnraum zu geben.

Wir haben in einigen Gegenden Deutschlands eine prekäre Situation: Normalverdiener können sich keine Wohnung mehr leisten. Man muss kein wichtigtuerischer Schreihals sein, um die Dringlichkeit dieses Problems zuzugeben, und kein Sozialist, um es schlimm zu finden. In gefragten Ballungsräumen wie Düsseldorf, Frankfurt, Stuttgart oder München sind in den letzten Jahren die Immobilienpreise und die Mieten derart durch die Decke gegangen, dass es für Leute mit geringerem Einkommen quasi unmöglich ist, eine bezahlbare Wohnung zu finden.

Busfahrer, Krankenschwestern, Friseure, Fleischwarenfachverkäufer und Kellnerinnen pendeln von weit her, um in den Zentren zu arbeiten. Sie wohnen weit draußen in den Dörfern und Kreisstädten vor den Toren der Metropolen. Dort ist es noch bezahlbar. Aber die Korridore entlang der S-Bahn-Strecken, in denen die Mietpreise nicht mehr viel niedriger sind, als in der Stadt, werden von Jahr zu Jahr länger. Das immer weitere Pendeln kostet Zeit und Geld, es belastet die Umwelt und die Familien der Pendler. Für die betroffenen Städte wirkt es sich auch negativ aus, die werden zunehmend zum getrifizierten Reichenghetto. Auch nicht eben eine gesunde Entwicklung.

Das Bittere für die Betroffenen ist, dass man das Gut “Wohnen” nicht beliebig reduzieren oder ersetzen kann. Wenn sonst die Marktpreise unerschwinglich werden, können wir ausweichen: Essen wir halt Hühnchen, wenn der Preis für Rind anzieht oder fahren wir Bahn, wenn die Flugpreise steigen. Für das Dach überm Kopf gibt es leider keinen Ersatz – außer ganz wo anders hin zu ziehen. In die Uckermark oder ins Wendland. Nur gibt es dort eben weder Perspektive noch Arbeit.

Woher kommt überhaupt diese dramatische Steigerung, wo doch allerorten wie blöd gebaut wird?

Zu einem Teil haben wir sie uns selbst zuzuschreiben, denn unsere Ansprüche an Wohnraum sind in den letzten beiden Generationen schon deutlich mehr geworden. Wohnraum war in den Städten in Deutschland immer schon knapp. Im Zweiten Weltkrieg ist ein erheblicher Teil der großstädtischen Wohnfläche alliierten Fliegerbomben zum Opfer gefallen. Nach heutigen Maßstäben waren die Leute nach dem Krieg geradezu unvorstellbar zusammengepfercht, man hauste zu siebt oder acht in Zweizimmerwohnungen mit Klo auf dem Hausgang, einige teilten sich sogar Betten im Schichtbetrieb. Der Bauboom der fünfziger und sechziger Jahre entspannte die Lage etwas, aber bis in die 70-er Jahre war es auch völlig selbstverständlich, dass etwa ledige Menschen irgendwo in einem Zimmer zur Untermiete wohnten. (Mir fallen als Beispiel Helmut Dietls Münchner Geschichten ein, da wohnt bei Oma Häusler ein kluger alter Musiker als “Zimmerherr”. Die Serie wurde 1974 gedreht.)

Heute haben wir den Anspruch, Küche, Klo und Bad nicht mit Fremden teilen zu wollen. Und natürlich muss jedes Kind ein eigenes Kinderzimmer haben. Entsprechend ist die Wohnfläche pro Kopf in den letzten fünfzig Jahren steil angestiegen und ein guter Teil der beachtlichen Neubautätigkeit ist allein erforderlich, um diesen Ansprüchen gerecht zu werden.

Die Entwicklung der Ansprüche trifft Stadt und Land gleichermaßen. Die Mieten sind aber nur in ausgesuchten Ballungsräumen explodiert. In Dessau und Kassel lässt sichs noch bezahlbar wohnen, während in den Boomstädten jedes Jahr neue Horrorzahlen rauskommen.

Hauptgrund ist, dass die Kaufpreise für Immobilien heftig in die Höhe gegangen sind. Grund und Boden gilt als sichere Anlageform, auf dem Geldmarkt-Konto gibt es dagegen schon lange keine Zinsen mehr, also investieren eine Menge wohlhabender Leute und institutioneller Investoren in Wohnraum. Wenn man mehr fürs Kaufen zahlt, steigen logischerweise auch die Preise fürs Mieten.

Was würde nun eine Mietpreisbremse bewirken, wenn sie denn konsequent umgesetzt würde?

Preisbremse, das heißt: In einem Markt, in dem mehr Nachfrage als Angebot herrscht, würden die Preise oben gedeckelt. Ökonomen erwarten in solchen Situationen einen Schwarzmarkt.

Ein paar der Anbieter würden aus dem Markt rausgehen. Wenn die Mieten gedeckelt sind, rentiert es sich nicht mehr, Mietwohnungen anzubieten. Also würden die Eigentümer ihre vermieteten Wohnungen in Verkaufsobjekte umwandeln oder (private Anbieter wird das betreffen) sie selbst nutzen – etwa für Angehörige. Das hilft den Wohnungssuchenden mit niedrigem Einkommen nichts – im Gegenteil, es verschärft die Lage, weil die Zahle der verfügbaren Mietobjekte abnimmt.

Ein paar werden versuchen, die Bremse zu umgehen. Etwa, indem sie zusätzliche Zahlungen unter der Hand fordern (“Die Miete ist offiziell bei 800 EUR gedeckelt; wenn sie mir 300 EUR zusätzlich schwarz zahlen, können Sie die Wohnung haben.”) oder künstliche Preiskomponenten einführen: Ablösesummen oder Verwaltungsgebühren etwa. Dann wäre das, was der Mieter am Ende zu zahlen hat, so hoch wie die “echte” Miete in einem ungedeckelten Markt. Der Mieter zahlt also so viel wie vorher, nur einen Teil eben inoffiziell oder unter anderem Namen.

Ein weiterer Effekt wird sein, dass bei zu viel Nachfrage und festem Preis andere Auswahlkriterien wichtiger werden. Mit anderen Worten: Es droht die Diskriminierung von Benachteiligten. Wenn die Vermieter schon (aus ihrer Sicht) unbefriedigende Mieteinnahmen bekommen und nicht über die Preise steuern können, nehmen sie zumindest aus der großen Auswahl von Kandidaten den angenehmsten. Wer dem Vermieter Gefälligkeiten bieten kann, hat es da gut. Kinderlose Beamtenehepaare mit nachgewiesenem Desinteresse an Musik werden hoch im Kurs stehen beim Kampf um die wenigen Wohnungen, und man kann fest davon ausgehen, dass die Kleinschmidts schneller eine Bleibe finden werden als die Öztürks.

Kurz: Die künstliche Deckelung der Preise erzeugt nur Nebeneffekte, die keiner wollen kann.

Wenn es aber die Mietpreisbremse nicht ist, was würde denn helfen?

Die Stadt München ist einigermaßen stolz auf ihr “Münchener Modell”. Baugenehmigungen in großem Stil für neue Wohnviertel (etwa im Bereich des ehemaligen Flughafens oder entlang aufgelassener Eisenbahnflächen) gab bzw. gibt es für die Immobilienentwickler nur, wenn neben all den lukrativen Eigentumswohnungen ein bestimmter Anteil der Einheiten gezielt für arme Kandidaten vorgesehen ist. Das funktioniert offenbar ganz gut, es verhindert (oder verzögert zumindest) die totale Gentrifizierung, und schafft bezahlbaren Wohnraum. Rein mengenmäßig reicht dieses Angebot aber nicht aus, um den Gesamtmarkt spürbar zu entlasten. Auf jeden Polizisten, der eine Wohnung nach dem Modell erhält, kommen zwei neuzugezogene Medien- oder Werbefuzzis mit sechsstelligen Jahresgehältern in die Stadt, die die Preise gleich wieder versauen.

In Wien zeigt sich die Lage deutlich entspannter. Im Vergleich etwa zu München ist Wohnen in Wien erschwinglich. Das liegt vor allem an den “Gemeindebauten”. Die Stadt Wien hat seit dem Ende des Ersten Weltkrieges eine Vielzahl von Mietwohnungen errichtet, die sie bis heute hält und verwaltet und zu moderaten Konditionen zuweist. 220.000 solche Einheiten gibt es in Wien, jeder vierte Wiener wohnt in einer städtischen Wohnung. Ein Jahrhundert konstanter sozialdemokratischer Wohnbaupolitik machte das möglich. Einige der Gemeindebauten sind in beklagenswertem Zustand, was Schall- und Wärmedämmung, Heizung und Sanitäranlagen angeht, aber der Gemeindebau ist eine Ausweichmöglichkeit, die gerade den Armen zugute kommt und den Wiener Wohnungsmarkt (jenseits von Luxus- und Nischenangeboten – da spinnt Wien genauso wie Düsseldorf oder Frankfurt) im Zaum hält.

Zur Nachahmung andernorts braucht man als Ausgangssituation eine Menge spottbilliger Grundstücke, welche die Kommune erwerben kann, den Willen, eine saftige Grundsteuer für privatwirtschaftliche Immobilieneigentümer durchzusetzen (mit der haben die Wiener das Bauprogramm finanziert), das Durchhaltevermögen, das ganze Konzept gegen alle Widerstände zu verteidigen – und ungefähr fünfzig bis hundert Jahre Zeit.

Für die überhitzten deutschen Ballungszentren bieten weder das Münchener noch das Wiender Modell ein Patentrezept. Ausgleich kann es eigentlich nur geben, wenn mehr Menschen als bisher als Eigentümer aus dem Mietmarkt ausscheiden. Die FDP hat das im Bundestagswahlkampf 2017 propagiert und ist als zynisch beschimpft worden, weil es lachhaft sei, einer Verkäuferin zu sagen, sie solle doch statt 400 EUR Miete zu zahlen, lieber ein Apartment kaufen.

Die Kritiker haben recht: Es ist lachhaft. Aber muss das so sein? Ich glaube, den Hebel kann man politisch nur da ansetzen, dieses Ansinnen nicht mehr lachhaft zu machen. Wenn der Staat den Armen beim Kaufen hilft, ihnen Mittel und Sicherheiten gibt, dann könnte es funktionieren.

Eigenkapital. Die erste große Hürde, die Arme davon abhält, eine Wohnung zu kaufen. Normalerweise hat der Käufer in Deutschland ein Fünftel oder ein Viertel der Kaufsumme als Eigenmittel, den Rest leiht ihm dann die Bank. Friseure und Busfahrer aber verfügen im seltensten Fall über Ersparnisse in dieser Höhe – und deshalb leiht ihnen keine Bank den Rest. Wenn der Staat nun die Eigenmittel zuschießen würde, etwa als hinterlegtes Pfand oder als Garantie für die Bank, wäre vielen schon erheblich geholfen, den fehlenden Betrag zu finanzieren.

Nebenkosten des Erwerbs. Das nächste Totschlagargument gegen den Kauf. Wer in Deutschland Grund und Boden erwirbt, muss das im Grundbuchamt eintragen lassen, er muss zum Notar und Grunderwerbsteuer muss er obendrein noch zahlen. Die muss übrigens auf alle Fälle weg – oder sollte statt wie heute dem Käufer doch lieber dem (potenziell spekulierenden) Verkäufer aufgebürdet werden. Wenn für arme Käufer der Staat bei den Nebenkosten zuschießen würde (also auf Eintragungsgebühr verzichtet, die Notariatskosten deckelt und/oder übernimmt), würden sich Käufer schon locker einen fünfstelligen Betrag ersparen.

Zinsrisiko. Jemand mit geringem Einkommen hat nicht nur wenig Geld, er hat auch keinen finanziellen Gestaltungsspielraum. Er muss seine Ausgaben auf den Punkt genau ausrechnen und hintrimmen – speziell bei so einem dicken Brocken wie Wohnen. Bei einem Nettoeinkommen diesseits von tausend oder fünfzehnhundert Euro sind dann eben nur maximal punktgenau x Euro drin, die man für eine Wohnung aufwenden kann, weil man schließlich auch noch essen muss und alle zwei Jahre neue Schuhe braucht. Immobilienkäufer gehen ein Risiko ein: Sie verschulden sich in Höhe vieler Jahresgehälter und tilgen diese Schuld über mehrere Jahrzehnte. Niemand kann sagen, wie hoch die Zinsbelastung in zwanzig oder mehr Jahren sein wird, auch die Banken geben über so lange Zeiträume keine Festzinsen. Dieses Risiko kann jemand mit üppigem Finanzpolster locker tragen, aber eben niemand, der mit jedem Euro rechnen muss. Wenn der Staat dem armen Käufer garantieren könnte, dass die Zinsbelastung so bleibt, wie sie heute errechnet wurde, könnten es mehr Leute wagen, einen Immobilienkauf zu riskieren. Je niedriger dieser garantierte Zinssatz läge, desto größer die Entlastung der Käufer.

Das größte Hindernis für all diese Erleichterungen: Sie sind sackteuer. Müssen sie ja auch sein, wenn sie wirken sollen. Bei einem bundesweit durchschnittlichen Objektpreis von 150.000 bis 200.000 Euro dürften schnell 50.000 Euro pro Förderung zusammenkommen. Wenn nur 10.000 Leute das in Anspruch nähmen, kostete uns alle das eine halbe Milliarde an Steuergeldern. Dazu kommt der Verwaltungsaufwand zum Verteilen der Wohltaten und zum Verhindern von Missbrauch.

Das ginge nach meinen Erwartungen übrigens recht einfach. Einkommensnachweis bei Antrag, Verkaufsverbote für das geförderte Objekt, das maximal (mit entsprechendem Abschlag) an den Staat abgetreten werden darf. So ließe sich verhindern, dass jemand die staatlichen Gelder einfach so einsacken kann. Aber diese “zurückgegebenen” Objekte müssen dann auch verwaltet und veräußert werden.

Mit dieser Missbrauchssperre verbunden ist freilich ein zweiter Nachteil: Wer sich auf ein Kaufobjekt eingelassen hat, das er behalten muss, der ist ortsgebunden. Das widerspricht den Anforderungen an Mobilität im Arbeitsmarkt. Man kann nicht gleichzeitig von jemandem fordern, immer dahin zu ziehen, wo es Jobangebote gibt (etwa im Rahmen der Sozialgesetzgebung und der Arbeitslosenunterstützung) und ihn gleichzeitig mittels der Wohneigentumsförderung festketten.

Also bleibt es schwierig. Aber der Weg über den Eigentumsmarkt, entweder durch Teilnahme des Staates als Anbieter und Steuerer (wie in Wien und München) oder durch massive Förderung des Eigentumserwerbs auch für Arme ist allemal besser und wirksamer als eine Mietpreisbremse, die schön klingt, aber nichts bringt.


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